… und wieder ein Pisa-Schock

Die Ergebnisse des Schulleistungsvergleichs PISA aus dem Jahr 2022 sind da. Es zeigt sich neben einem allgemeinen alarmierenden Leistungsabfall, dass besonders armutsbetroffene Schüler*innen ihre Potentiale nicht nutzen können.

Zusammenfassung der PISA-Studie

Alle 3 Jahre werden repräsentativ Leistungen von 15-Jährigen an deutschen Schulen erhoben und verglichen: Sowohl Fähigkeiten im Lesen als auch in naturwissenschaftlichem Denken werden getestet; aber auch mathematische Leistungen, die 2022 besonders im Fokus standen. Das besorgniserregende Fazit: „Die Ergebnisse der PISA-Studie 2022 zeigen, dass die Kompetenzen fünfzehnjähriger Schüler*innen in Deutschland in den Bereichen Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen im Vergleich zu PISA 2018 deutlich abgenommen haben“ (aus: „PISA- Analyse der Bildungsergebnisse in Deutschland, Zusammenfassung“; S. 24). Somit liegen die deutschen Schüler*innen nur noch in den Naturwissenschaften signifikant über dem internationalen Durchschnitt, während die Lese- und mathematischen Kompetenzen inzwischen durchschnittlich ausfallen. Alarmierend ist dies vor allem deswegen, weil die Studie „die funktionale Grundbildung untersucht, d.h., inwieweit Schüler*innen in der Lage sind, ihr Wissen aus verschiedenen Schulfächern auf neue Kontexte und Problemstellungen aus dem Alltag anzuwenden.“ (S. 4). Die Auswirkungen werden sich also im Alltag zeigen und haben in stark ausgeprägten Fällen zur Folge, dass Berufsausbildungen nicht erfolgreich abgeschlossen werden können. 

Dass die Ergebnisse allgemein schlechter ausfielen als 2018, verwundert dabei wenig – schließlich mussten Bildungseinrichtungen durch die Corona-Pandemie lange Zeit unter schwierigsten Bedingungen funktionieren. Für Deutschland heisst das: Die Schulschließungen hatten einen erkennbaren negativen Effekt auf den Kompetenzerwerb. In anderen Ländern lässt sich diese Beobachtung nicht machen. Es stellt sich die Frage, warum ausgerechnet bei uns der Leistungsabfall so drastisch ausfällt?! Dazu liefert die PISA-Studie wertvolle Hinweise:

So spricht sie davon, dass die Pandemie nicht als alleinige Ursache des Leistungsabfalls gesehen werden darf, sondern „als Verstärker bereits bestehender Probleme gewirkt“ haben dürfte (S. 24). So scheint die technische Ausstattung nicht der zentrale Problemaspekt gewesen zu sein (vgl. S. 22f.); vielmehr „hatten [die Schüler*innen] insbesondere Probleme mit ihrer Lernmotivation und dem Verstehen der gestellten Aufgaben während der Schulschließungen“ (S. 23). Dass dies vor allem Kinder und Jugendliche aus Familien mit niedrigerem sozio-ökonomischen Status betrifft, ist naheliegend – sind hier oftmals die Ressourcen der Eltern nicht vorhanden, Kinder angemessen zu unterstützen und zu motivieren. Eigene Unkenntnisse, gesundheitliche Einschränkungen oder ein Arbeitsplatz, der keine Möglichkeiten zum Homeoffice anbietet und damit ein flexible Betreuung unmöglich macht, sind maßgebliche Gründe für diesen Befund.

Doch benennt die PISA-Studie einen weiteren Faktor, der den Leistungsabfall beeinflusst: „Im Vergleich zu früheren PISA-Erhebungen ist der Anteil der Schüler*innen mit Zuwanderungshintergrund* weiter gestiegen und liegt jetzt bei knapp 39 Prozent. (…) Berücksichtigt man den Zuwanderungshintergrund, so zeigt sich in fast allen europäischen Staaten eine geringere mathematische Kompetenz bei Jugendlichen aus zugewanderten Familien im Vergleich zu Jugendlichen ohne Zuwanderungshintergrund.“ (S. 15). Doch ist auch hier der Unterschied in Deutschland mit 53 Punkten Differenz besonders groß. Bemerkenswert, da es sich in Mathematik nicht um ein genuin sprachbasiertes Unterrichtsfach handelt. 

Differenziert man zwischen Jugendlichen mit Zuwanderungshintergrund der ersten Generation (Personen, die selbst im Ausland geboren sind) und Jugendlichen, von denen mindestens ein Elternteil im Ausland geboren wurde, ergeben sich eine spannende Erkenntniss: So erreicht die erste Gruppe durchweg schlechtere Ergebnisse als die zweite. Dies schlägt sich auch im Besuch der Schulform wieder: Während die erste Gruppe nur zu 16% ein Gymnasium besucht, kann dies in der folgenden Zuwanderungsgeneration immerhin schon für 30% gelten – allerdings immer noch im Kontrast zu 44% der Jugendlichen ohne Zuwanderungshintergrund. 

Die Ursache für die niedrigeren Leistungen liegen demnach nicht in einem verringerten Potenzial der untersuchten Schüler*innen; es wäre verwunderlich, wenn sich diese im Laufe einer Generation systematisch verschieben würde. Sondern man muss diese Ergebnisse als ein Ergebnis von Lebensumständen verstehen. Ein entscheidender Faktor für das Abschneiden der Kinder und Jugendlichen ist nach wie vor die soziale Herkunft der untersuchten Schüler*innen: „Aufgrund von zuwanderungsbezogener und sozialer Herkunft gibt es in Deutschland weiterhin große Ungleichheiten in der mathematischen Kompetenz der Jugendlichen. Im internationalen Vergleich ist sowohl der Effekt des Zuwanderungshintergrundes als auch der sozioökonomischen Herkunft in Deutschland überdurchschnittlich stark ausgeprägt. Die mathematische Kompetenz der Schüler*innen hängt in hohem Maße mit dem sozio-ökonomischen beruflichen Status der Erziehungsberechtigten zusammen.“ (S. 24).  

Der PISA-Schock 2022 muss also leider nicht nur als Bildungs-Schock verstanden werden – sondern mindestens genauso stark als sozialer Schockmoment!

Was tun? „Zusammenfassend sind die Befunde für die Jugendlichen mit Zuwanderungshintergrund der ersten Generation alarmierend. Es ist offensichtlich, dass die Integration der Jugendlichen der ersten Generation in das deutsche Bildungssystem nicht gelingt. Die pandemiebedingten Schulschließungen der Jahre 2020 und 2021 dürften hier zusätzliche negative Effekte gehabt haben. Insgesamt besteht weiterhin hoher Handlungsbedarf in der Bildungspolitik, damit auch leistungsschwache Schüler*innen am Ende ihrer Schulzeit über diejenigen Kompetenzen verfügen, welche sie für einen gelungenen Übergang in das Berufsleben benötigen – und dies unabhängig von ihrer sozialen oder zuwanderungsbezogenen Herkunft“ (S. 16).

Die Erkenntnisse sind also da und durch die Veröffentlichung der PISA-Studie auch ins Zentrum der gesellschaftlichen Wahrnehmung gerückt. Jetzt muss entsprechend gehandelt werden! Erstens, um den einzelnen Kindern und Jugendlichen permanente Frustrationserfahrungen zu ersparen und zweitens, um uns die als Gesellschaft dringend benötigte Fachkräfte auszubilden. Und zu giter Letzt sind sie Voraussetzungen, um eine Gesellschaft zu gestalten, die allen Teilhabe und sinnstiftende Gemeinschaftserfahrungen ermöglicht.  

* Als „Zuwanderungshintergrund“ definiert die PISA-Studie alle Stufen der Zuwanderung. Hierunter fallen Kinder und Jugendliche, die entweder selbst im Ausland geboren wurden oder von denen dieses Kriterium auf mindestens ein Elternteil zutrifft. 

Ansprechperson

Fabienne Christen

Armutsexpertin

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